Selen

Synonym(e): Brassica nigra, Natriumselenit, Selencystathion, Selenhefe, Selenmethionin, Senf-Extrakt
Nährstoffgruppe: Mineralstoffe & Spurenelemente

Vorkommen und physiologische Effekte

Vorkommen in der Nahrung

Der Selengehalt von Lebensmitteln wird wesentlich von den Böden, auf denen die Pflanzen und Tiere gedeihen, bestimmt. Die Selenkonzentration in der Biosphäre ist hierbei einer großen regionalen Schwankungsbreite unterlegen – und so variiert gleichermaßen auch der Selengehalt von den darauf lebenden Kulturpflanzen und Nutztieren.
Neben der geographischen Herkunft hängt der Selengehalt der Nahrung auch vom Eiweißgehalt der Lebensmittel ab, da Selen größtenteils in der Proteinfraktion enthalten ist. Zu selenreichen Lebensmitteln zählen dementsprechend Fleisch, Fisch, Innereien und Nüsse. Auch Getreidekörner enthalten vor allem in ihren Randschichten Selen. Durch die Verarbeitung von Getreide zu Weißmehl geht jedoch Selen verloren.
Herausragend ist insbesondere der Selengehalt der Paranuss, die pro Nuss ca. 70 – 90 µg Selen liefert.  

Physiologische Effekte
Zellschutz
  • Bestandteil der Glutathionperoxidase und damit wichtige Funktion als Antioxidans
  • Schutz der DNA, Membranen und Erythrozyten vor oxidativen Schäden
Schilddrüse
  • Cofaktor für die Bildung von aktiven Schilddrüsenhormonen
  • Beeinflussung des Grundumsatzes sowie der Zellaktivitäten, Differenzierung und Wachstum
Immunsystem

Unterstützung der humoralen und zellulären Immunität (Antikörperproduktion, Lymphozytenproliferation, Zytokinproduktion, Interferonsynthese, Regulation der zytotoxischen T-Zellen und NK-Zellen)

Tumorprävention
  • Schutz der DNA und Zellen vor oxidativen Schäden
  • Antikanzerogene Effekte durch wachstumshemmende und zelltodfördernde Wirkung auf Tumorzellen
  • Stärkung der Immunabwehr
Entgiftung
  • Bindung von Schwermetallen und deren Ausleitung aus dem Körper
Leber
  • Förderung der Entgiftungsfunktion und Schutz der Leberzellen

EFSA Health Claims

Health Claims EFSA Opinion
Selen
  • Trägt zum Erhalt normaler Haare bei
  • Trägt zum Erhalt normaler Nägel bei
  • Trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei
  • Trägt zu einer normalen Schilddrüsenfunktion bei
  • Trägt dazu bei, Zellen vor oxidativem Stress zu schützen 
  • Trägt zu einer normalen Spermabildung bei

Referenzwerte

Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr D-A-CH
  Alter Selen µg/d
Säuglinge (Monate)
  0-4  10
  4-12  15
Kinder (Jahre)
  1-4  15
  4-7  20
  7-10  30
  10-13  45
  13-15  60
Jugendliche/Erwachsene (Jahre) Frauen Männer
  15-19  60  70
  19-25  60  70
  25-51  60  70
  51-65  60  70
  > 65  60  70
Schwangere  60
Stillende  75
Erhöhter Bedarf Vegetarische Ernährung, Rauchen, Sport, Schwermetallbelastung, Autoimmunthyreoiditis, Entzündungen 
Referenzwert laut Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung µg
(=100 % TB-Kennzeichnung auf Etikett) 55 µg
Sicherheit des Nährstoffes  
UL
 
Langfristige tägliche Aufnahmemenge, bei der keine
negativen Einflüsse auf die Gesundheit zu erwarten sind
<400 µg/d (laut NIH)
NOAEL
 
Maximale Aufnahmedosis, die in Studien keine
schädigenden Auswirkungen verursachte
<850 µg/d
Sicherheit Die EFSA hat sich mit der Sicherheit von Selen beschäftigt

Status laut Österreichischem Ernährungsbericht 2012

Selen-Status bei Kindern

Abb. 1.: Selenstatusbewertung bei Schulkindern (7-14 Jahre), nach Geschlecht

Selen-Status bei Erwachsenen

Abb. 2.: Selenstatusbewertung bei Erwachsenen (18 - 64 Jahre), nach Geschlecht und Selenkonzentration im Plasma (in µmol/L)(n=411)

Selen-Status bei Senioren

Abb. 3.: Selenstatusbewertung bei Seniorinnen und Senioren (65 - 80 Jahre)

Besondere Informationen

Kritischer Versorgungszustand in Europa

Selen ist ein relativ seltenes Spurenelement, das in unterschiedlichen Konzentrationen in der Erdkruste vorkommt. In Pflanzen findet es sich meist in Form von Selenmethionin. Der Selengehalt der Lebensmittel hängt stark vom Selenvorkommen in den Böden ab. In weiten Teilen Europas sind die Böden ausgesprochen selenarm, sodass pflanzliche Nahrungsprodukte einen geringen Gehalt aufweisen und nur geringfügig zur Versorgung beitragen können. Die Selenversorgung in Deutschland und in Österreich scheint durch die übliche Ernährung nicht ausreichend gewährleistet zu sein (1). Darüber hinaus erfüllen die für Erwachsene offiziell geschätzten Referenzwerte von 30 – 70 µg Selen lediglich die Minimalanforderungen für den Bedarf. Viele Experten halten diese Werte für zu niedrig, um einen idealen Ablauf aller Körperfunktionen oder die Prävention von Erkrankungen zu ermöglichen. Um alle selenabhängigen Reaktionen optimal zu unterstützen, wird eine tägliche Zufuhr von 100 – 200 µg gefordert (2).
Offizielle Daten Österreich:

 

Aus : Österreichischer Ernährungsbericht 2012 Seite 189

Selen und Schilddrüsenerkrankungen
Selen ist das Schutzelement für die Schilddrüse, denn bei der Synthese von Schilddrüsenhormonen werden in hohem Maße reaktive Sauerstoffspezies gebildet, die das Gewebe oxidativ schädigen können. Die Schilddrüse zählt zu den Organen mit dem höchsten Gehalt an antioxidativ wirksamen Selenenzymen (3). Ein Mangel kann Hashimoto zwar vermutlich nicht auslösen, aber zumindest begünstigen und vermutlich verstärken. Die Supplementierung mit Selen bei Hashimoto zählt mittlerweile zur Standardtherapie. So kann eine dreimonatige Selentherapie (200 μg) signifikant erhöhte TPO-Antikörper senken (4). Bei schwangeren Frauen mit Anti-TPO-Antikörpern kann eine Selensupplementation den Antikörpergehalt vermindern und die Entwicklung von postpartalen Schilddrüsenentzündungen und Hypothyreose vermeiden (3). Beim Morbus Basedow unterstützt eine erhöhte Selenzufuhr das schnellere Erreichen euthyreoter Werte und entzündliche Orbitopathien können gemildert werden.
 
Selen und Tumorprävention
Aufgrund seiner antioxidativen Funktionen kann Selen in der Frühphase einer Krebsentstehung protektiv eingreifen. Die oxidative Aktivierung prokanzerogener Verbindungen kann minimiert und DNA-Veränderungen können verhindert werden. Epidemiologische Daten und klinische Studien weisen immer deutlicher darauf hin, dass eine Erhöhung der Selenzufuhr hemmende Effekte in der Initialphase tumorgenerischer Prozesse aufweist (5). So liegen gesicherte Ergebnisse vor für eine inverse Korrelation des Selenstatus mit dem Auftreten von kolorektalen Tumoren (6) (7). In diesem Zusammenhang scheint auch die Beeinträchtigung der humoralen und zellulären Immunabwehr durch Selenmangel eine Rolle zu spielen. Bei einem optimalen Selenstatus können initiierte Zellen bereits in der Frühphase der Krebsentstehung besser erkannt und eliminiert werden. Daneben blockiert Selen die Weiterentwicklung bereits transformierter Zellen und moduliert den Stoffwechsel kanzerogener Verbindungen. Bei einer Dosierung von 200 – 300 µg/Tag bilden sich zudem zytotoxische Substanzen, die die Angiogenese von Tumorzellen hemmen und die Apoptose von Krebszellen induzieren (2). Auch auf die Mortalitätsraten bei Krebs und anderen Erkrankungen scheint eine Selensupplementierung Einfluss zu nehmen. Zwei Metastudien bestätigen einen Trend in Richtung verringerter Mortalitätsraten bei einer Selensubstitution (8). HIV-infizierte Personen profitieren ebenfalls von erhöhten Selengaben. Neben seiner immunstimulierenden Effekte vermag Selen möglicherweise auch die Replikationsrate des HI-Virus zu hemmen (2) (9). Eine generelle Steigerung der Immunkompetenz durch eine gezielte Selensubstitution bei Patienten mit niedrigem Selenstatus gilt mittlerweile als gesichert (10).
 
Mögliche Gründe für einen erhöhten Selenstatus
Ein erhöhter Selenwert im Blut kann verschiedene Ursachen haben. Bei einem stark erhöhten Wert sollte eine Wiederholung der Messung in Betracht gezogen werden. Einerseits, um eine Fehlmessung und andererseits, um eine mögliche erhöhte Aufnahme von Selen über ein stark angereichertes Lebensmittel knapp vor der Messung ausschließen zu können.
Ist ein erhöhter Selenstatus garantiert, könnte eine dauerhafte Exposition mit folgenden Umwelteinflüssen der Grund sein:
• Einatmen von Selenstaub in der Elektro-, Gas- oder Porzellanindustrie
•Nahrungsmittel (Fisch, Fleisch, Leber, Eier, Linsen, Spargel und Getreideprodukte) aus Ländern mit selenreichen Böden (z.B. USA)
• Starkes Rauchen (Selen in Zigaretten)
• Manche Fische (Kabeljau, Hering)
• Nüsse wie Kokosnuss, Pistazien und die Paranuss

Labordiagnostik

Parameter Substrat Referenzwert Beschreibung
Selen im Blut Serum 60 - 100 µg/l Selenbestimmung im Serum nur von eingeschränkter Bedeutung, da Selen zu 65 % intrazellulär vorkommt.
Vollblut 80 - 130 µg/l Selen ist zu 65 % erythrozytär gebunden. Die hämatokritkorrelierte Vollblutanalytik ermöglicht die korrekte Interpretation des Versorgungsstatus.
Selengehalt im Vollblut als Langzeitparameter wegen der langen Lebenszeit von Erythrozyten geeignet.
Selen im Harn 24-h-Urin 5 - 30 µg/l  
Interpretation
Verminderte Werte Hinweis auf Selenmangel. Korreliert mit einer reduzierten Aktivität selenabhängiger Enzyme.
Erhöhte Werte Akute oder chronische Selenvergiftung. Werte im Vollblut sollten 400 µg/l nicht überschreiten.
Hinweis zu den Messergebnissen
Die Referenzwerte beziehen sich auf Mitteleuropa, da die Selenkonzentration starke regionale Variabilität zeigt.
Nutrigenetik und Krebs 

Gen/miRNA

Vorgang

Aktivitätsänderung

Prävention

Nährstoff für Krebsprävention

VHL

 

Methylierung

reduziert

Prävention für Darmkrebs

Selen

Mögliche Mangelsymptome

Auswirkung auf Symptomatik
Allgemeinbefinden Müdigkeit, Infektanfälligkeit, Depression
Schilddrüse Störung in der Umwandlung der Schilddrüsenhormone (T4 in aktives T3)
Verstärkung der Symptome bei bestehender Hypothyreose
Immunsystem Immundepression
Erhöhte Allergieneigung
Herz-Kreislauf Kardiomyopathie
Muskulatur Myopathien, Chronic-Fatigue-Syndrom

Einnahme

Allgemeiner Einnahmemodus
 
Wann
 
Natriumselenit sollte mit ein bis zwei Stunden Abstand zu einer Mahlzeit eingenommen werden.
Selenmethionin/Senfextrakt/Selenhefe sollte direkt zu den Mahlzeiten eingenommen werden.
Nebenwirkungen
Bei chronischer Überdosierung können Neuropathien auftreten sowie Haarausfall und brüchige Nägel.
Bei akuter Überdosierung kann es zu Übelkeit, Durchfall und knoblauchartigem Atemgeruch kommen.
 
Kontraindikationen
Nach aktuellem Kenntnisstand sind keine Kontraindikationen bekannt.

Interaktionen

Interaktionen mit Arzneimitteln
Neuroleptika (Clozapin) Erhöhen den Selenbedarf.
Zytostatika (Cisplatin, Vincaalkaloide) Selen kann die Nephro-, Kardio- und Neurotoxizität von Zytostatika reduzieren.
Kortikosteroide (z.B. Methylprednisolon, Dexamethason, Prednisolon) Selen kann den Kortikoidbedarf verringern.
Schilddrüsentherapeutika (L-Thyroxin) Selen verbessert die Wirkung von Schilddrüsenpräparaten.
Interaktionen mit anderen Nährstoffen
Schwermetalle und Spurenelemente Selen bindet Schwermetalle.

Verbindungen

Beschreibung des Mikronährstoffes
  • Spurenelement
  • Formel: Se
  • Ion: Se2+
Verbindungen

L-Selenomethionin, Selenhefe, selenige Säure, Natriumselenat, Natriumhydrogenselenit, Natriumselenit

Organische Verbindungen (z.B. Selenomethionin) und anorganische Verbindungen (z.B. Selenit, Selenat) sind gut bioverfügbar

Referenzen

Referenzen

1) Fuchs, N. Mit Nährstoff heilen: Eine Einführung in die komplexe Orthomolekulare Nährstoff-Therapie, 4. Auflage. Köln: Ralf Reglin Verlag, 2012.
2) Hahn, A. et al. Ernährung: Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie, 3. neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2016.
3) Drutel, A. et al. 2013. Selenium and the thyroid gland: more good news for clinicians. Clin Endocrinol. 78(2):155-164. doi: 10.1111/cen.12066.
4) Gärtner, R. et al. 2002. Selenium supplementation in patients with autoimmune thyroiditis decreases thyroid peroxidase antibodies concentrations. J Clin Endocrinol Metab. 87(4):1687-1691. doi: 10.1210/jcem.87.4.8421.
5) Aboul-Fadl, T. 2005. Selenium derivates as cancer preventive agents. Curr Med Chem Anticancer Agents. 5(6):637-52. doi: 10.2174/156801105774574676.
6) Reid, M. E. et al. 2006. Selenium supplementation and colorectal adenomas: an analysis of the nutritional prevention of cancer trial. Int J Cancer. 118(7):1777-81. doi: 10.1002/ijc.21529.
7) Lener, M. R. et al. 2013. Can selenium levels act as a marker of colorectal cancer risk? BMC Cancer. 13: 214. doi: 10.1186/1471-2407-13-214.
8) Geoghegan, M. et al. 2006. Selenium in critical illness. Curr Opin Crit Care. 12(2):136-141. doi: 10.1097/01.ccx.0000216581.80051.d6.
9) Ferencik, M., Ebringer, L. 2003. Modulatory effects of selenium and zinc on the immunsystem. Folia Microbiol. 48(3):417-26. doi: 10.1007/BF02931378. 
10) Rayman, M. P. 2002. The argument for increasing selenium intake. Proc Nutr Soc. 61(2):203-15. doi: 10.1079/PNS2002153. 


Referenzen Interaktionen

Stargrove, M. B. et al. Herb, Nutrient and Drug Interactions: Clinical Implications and Therapeutic Strategies, 1. Auflage. St. Louis, Missouri: Elsevier Health Sciences, 2008.
Gröber, U. Mikronährstoffe: Metabolic Tuning –Prävention –Therapie, 3. Auflage. Stuttgart: WVG Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2011.
Gröber, U. Arzneimittel und Mikronährstoffe: Medikationsorientierte Supplementierung, 3. aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: WVG Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2014.

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