Niacin

Synonym(e): Inositol-Nicotinat, Inositolnicotinat, Nicotinamid, Nicotinsäure, Vitamin B3
Nährstoffgruppe: Vitamine

Vorkommen und physiologische Effekte

Vorkommen in der Nahrung

Die Bezeichnung „Niacin“ (ehemals Vitamin B3) fasst die beiden Verbindungen Nicotinsäure und Nicotinamid zusammen. Während Nicotinsäure in erster Linie in pflanzlichen Lebensmitteln enthalten ist, kommt die Amidform vorwiegend in tierischen Geweben vor. Bedeutende Niacinlieferanten sind Fleisch, Innereien, Fisch und Hefe.
Getreide liefert mittlere Mengen an Niacin, welche vorwiegend in der Aleuronschicht lokalisiert sind. Durch starkes Ausmahlen des Getreides kommt es zu hohen Niacinverlusten. Hinzu kommt, dass die Bioverfügbarkeit von Niacin aus bestimmten Getreiden (z.B. Mais, Hirse) teils nicht sehr hoch ist.
Beim Rösten von Kaffeebohnen entsteht Nicotinsäure. Eine Tasse Bohnenkaffee liefert ca. 1 – 2 mg Nicotinsäure.
Unüblich für ein Vitamin, kann Niacin im Körper auch durch den Abbau der Aminosäure L-Tryptophan gewonnen werden. Tryptophanreiche Lebensmittel wie z.B. Eier oder Milch können daher einen Beitrag zur Bedarfsdeckung von Niacin leisten.
Beide Niacinformen sind relativ unempfindlich gegenüber Sauerstoff, Licht und Hitze. Zubereitungsverluste kommen in erster Linie durch Auslaugungen zustande und belaufen sich auf etwa 15 %.

Physiologische Effekte
Energiestoffwechsel
  • Als Nicotinamidadenindinucleotid (NAD) am Citratzyklus, der Fettsäureoxidation und der Atmungskette beteiligt
Fettstoffwechsel
  • Über Kopplung an Rezeptoren der Adipozyten unterstützt Niacin die Senkung der LDL- und Triglyceridwerte und die Steigerung der HDL-Werte
Kohlenhydratstoffwechsel
  • Als NADP Beteiligung am Pentosephosphatzyklus
Antioxidans
  • Regeneration von oxidiertem Glutathion
Hormonsynthese
  • Als NADP Cofaktor der Bildung von Cholesterol- und Steroidhormonen

EFSA Health Claims

Health Claims EFSA Opinon
Niacin
  • Trägt zu einem normalen Energiestoffwechsel bei
  • Trägt zur normalen psychischen Funktion bei
  • Trägt zum Erhalt normaler Haut bei
  • Trägt zur Verringerung von Müdigkeit und Ermüdung bei
  • Trägt zur normalen Funktion des Nervensystems bei
    Trägt zum Erhalt normaler Schleimhäute bei

Referenzwerte

Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr D-A-CH
  Alter Niacin (mg/d)
Säuglinge (Monate)
  0-4  2
  4-12  5
Kinder (Jahre)
  1-4  8
  4-7  9
  7-10  10 - 11
  10-13  11 - 13
  13-15  13 - 15
Jugendliche/Erwachsene (Jahre) Frauen Männer
  15-19  13  17
  19-25  13  16
  25-51  12  15
  51-65  11  15
  > 65  11  14
Schwangere 2. Trimester     14

3. Trimester     16
Stillende 16
Erhöhter Bedarf Schwangerschaft, Stillzeit, Sport, Alkoholabusus, Mangelernährung, tryptophanarme Ernährung (Mais, Hirse), Malabsorption durch Leberschäden und Durchfall
Besondere Risikogruppen für
einen Mangel
Magersucht (Anorexia nervosa)
Referenzwert laut Lebensmittelkennzeichnungsverordnung mg

(=100 % TB-Kennzeichnung auf Etikett)

 Niacin (Niacinäquivalente):
1 mg Nicotinsäure = 1 mg NÄ
1 mg Nicotinamid = 1 mg NÄ
60 mg Tryptophan = 1 mg NÄ

16 mg
Sicherheit des Nährstoffes  
UL
 
Langfristige tägliche Aufnahmemenge, bei der keine
negativen Einflüsse auf die Gesundheit zu erwarten sind
Niacin 900 mg/d 

Nicotinsäure 10 mg/d
NOAEL
 
Maximale Aufnahmedosis, die in Studien keine
schädigenden Auswirkungen verursachte

Niacin 1500 mg

Nicotinsäure 500 mg

Sicherheit Die EFSA hat sich mit der Sicherheit von Niacin beschäftigt.

Besondere Informationen

Physiologische Bedeutung von Niacin
Die Bezeichnung Niacin umfasst die beiden Pyridinderivate Nicotinsäure und Nicotinamid. Beide besitzen die gleiche biologische Aktivität und sind im Stoffwechsel ineinander überführbar (1). In Geweben mit hoher Stoffwechselrate wie Immunzellen, Herz, Leber, Niere sowie Reproduktionsorganen findet sich der höchste Niacingehalt. Nicotinamid spielt als Bestandteil der wasserstoffübertragenden Coenzyme NAD+/NADH und NADP+/NADPH eine zentrale Rolle im Intermediärstoffwechsel und wirkt so über zahlreiche Redoxreaktionen am Auf- und Abbau von Proteinen, Kohlenhydraten und Fettsäuren mit. Niacin ist zudem an der Detoxifikation von Xenobiotika, der Blutzuckerregulierung und der antioxidativen Abwehr beteiligt (2). Hierbei regeneriert nicotinamidhaltiges NADPH verbrauchtes Glutathion durch Reduktion (1). Darüber hinaus ist Niacin u.a. an der Calciumhömöostase, am Aufbau der Myelinscheiden sowie an der Reparatur und Replikation der DNA beteiligt (2). Da neben Niacin auch Tryptophan für die NAD+- und NADP+-Synthese herangezogen werden kann, wird der Bedarf in Niacinäquivalenten (NÄ) angegeben. Die Eigensynthese, die ca. 70 % des Niacinbedarfs decken kann, hängt jedoch von einer hochwertigen Proteinzufuhr und einer ausreichenden Vitamin- B6-Zufuhr ab (1).
 
Niacinmangelsymptome

Niacinmangelerscheinungen kommen erst zum Vorschein, wenn gleichzeitig der Tryptophanstoffwechsel gestört bzw. die Protein- und die Vitamin- B6-Zufuhr sehr gering ist. Im Frühstadium des Niacinmangels treten unspezifische Symptome wie Schwäche, Appetitverlust, Schlafprobleme und Gedächtnisschwierigkeiten auf. Ein ausgeprägter Niacinmangel führt zu Pellagra mit den drei typischen DDD-Symptomen: Dermatitis, Diarrhoe und Demenz. Besonders lichtexponierte Stellen entwickeln starke Pigmentierungen, Rötungen und zunehmende Verhornung. Im Gastrointestinaltrakt treten mukosale Entzündungen, Erbrechen und Diarrhoe auf. Störungen des Nervensystems treten nur bei einer starken Unterversorgung - heutzutage nur noch in Entwicklungsländern - auf.

Niacin bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Hochdosiertes Niacin in Form von Nicotinsäure findet seit langem Anwendung zur Intervention bei Hypercholesterolämie und gehörte vor der Einführung der CSE-Hemmer sogar zu den Arzneimitteln erster Wahl bei Dyslipoproteinämien (2). Klinische Studien dokumentieren jedoch auch die Wirkung von Nicotinamid. So zeigen zwei doppelblinde, randomisierte Studien, dass Nicotinamidgaben neben anderen positiven Effekten die HDL-Spiegel der Patienten effektiv erhöhten (3) (4).
 
Hohes LDL + niedriges HDL = erhöhtes Risiko
Neben der Höhe des Gesamtcholesterols hat sich die Höhe des LDL-Spiegels als bedeutender Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erwiesen. Als besonders problematisch aber gelten LDL-Werte von >160 mg/dl in Verbindung mit HDL-Werten von <45 mg/dl. Liegt der Quotient Gesamtcholesterol/HDL über 5, so muss von einem erhöhten kardiovaskulären Risiko ausgegangen werden. Hypertriglyceride in Kombination mit einem Quotienten über 5 erhöhen dabei das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung um das sechsfache (1).
 
Therapeutische Intervention zur Erhöhung des HDL-Spiegels
Die Kontrolle erhöhter Serumlipidwerte durch diätetische Maßnahmen und Änderung der Lebensgewohnheiten stößt bei vielen Patienten an ihre Grenzen. Epidemiologische Studien haben nachgewiesen, dass auch eine Erhöhung der HDL-Werte zu einer Verminderung des Herz-Kreislauf-Risikos führt, unabhängig von einem erhöhten LDL- und Triglyceridspiegel (5). Niacin findet seit langem Anwendung zur Intervention bei Hypercholesterolämie. Durch eine Substitution mit Niacin lässt sich die Plasmakonzentration an VLDL und LDL wirksam verringern, während der HDL-Gehalt ansteigt (1) (6). Das European Consensus Panel empfiehlt die Kombination von bis zu 2 g Niacin zusammen mit Statinen in seinen Behandlungsempfehlungen für Diabetiker mit Hypercholesteroämie (7).
 
Niacin und Histamin
In sehr hohen Dosierungen kann Nicotinsäure (nicht von Niacin) die Freisetzung von Histaminen stimulieren. Dies kann zum Auftreten von „Flush“ - Reaktionen führen, die durch Hautrötung und Hitzegefühl gekennzeichnet sind. Dosierungen von bis zu 500 mg scheinen in diesem Zusammenhang unbedenklich (1).

Labordiagnostik

Parameter Substrat Referenzwert Beschreibung des Parameters/Methode
Niacin EDTA- Vollblut 1049 - 2202 µg/l Einzelparameter

Mögliche Mangelsymptome

Auswirkung auf Symptomatik
Allgemeinbefinden Erschöpfung, Gedächtnisstörungen, Muskelschwäche, Schlafstörungen
Nervensystem Enzephalopathien (Tremor, Rigor, spastische Paresen)
Immunsystem Infektanfälligkeit
Schleimhaut Glossitis, Mundwinkelrhagaden, Entzündungen des Ösophagus und GIT
Haut Rissige schuppige Haut, starke Pigmentierung, verstärkte Verhornung, Pellagra (Dermatitis, Diarrhoe und Demenz)

Indikation

Effekt Indikation Dosierung
Physiologische Effekte
mit niedrigen
Nährstoffdosierungen
Zur allgemeinen Prävention 20 - 50 mg/d
Zur gezielten Behandlung eines labordiagnostisch festgestellten Niacinmangels 500 - 1000 mg/d
Therapeutisch begleitend bei Migräne und/oder Spannungskopfschmerzen 200 - 500 mg/d
Pharmakologische Effekte
mit hohen Nährstoffdosierungen
Therapeutisch begleitend bei Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie  (als Nicotinsäure) 1 - 3 g/d

Einnahme

Allgemeiner Einnahmemodus
 
Wann
 
Niacin sollte zu den Mahlzeiten eingenommen werden.
Nebenwirkungen
In sehr hohen Dosierungen kann Nicotinsäure einen Flush mit Hautrötung, Hitzegefühl, Juckreiz und Kribbeln auslösen. Der gleichzeitige Konsum von Alkohol oder Kaffee sollte vermieden werden, um einen Flush zu verhindern. Bei Flushneigung kann durch Prämedikation mit einem Antihistaminikum (20 Min. vorher) eine Reduktion erreicht werden.
 
Kontraindikationen

Akuter Myokardinfarkt, akute Magengeschwüre, arterielle Blutungen, Gicht, Leberfunktionsstörungen

Interaktionen

Interaktionen mit Arzneimitteln
Antibiotika (v.a. Tetracycline) Tetracycline können die Resorption und Bioverfügbarkeit von Niacin beeinflussen.
Antiparkinsonmittel (z.B. L-Dopa, Carbidopa, Benserazid) Können bei langfristiger Einnahme einen Niacinmangel auslösen.
NSAIDs (z.B. ASS, Ibuprofen) NSAIDs können die Nebenwirkungen von Niacineinnahme (v.a. Flush) reduzieren.
Paracetamol Nicotinamid kann die lebertoxische Wirkung von Paracetamol reduzieren.
Antiepileptika (Carbamazepin) Nicotinamid kann in hoher Dosierung die Carbamazepinausscheidung verringern.
Orale Antidiabetika (z.B. Metformin, Glimepirid, Gliclazid, Pioglitazon) Nicotinsäure kann die blutzuckersenkende Wirkung verstärken.
Cholesterinsenker (Statine, Fibrate) Nicotinsäure kann die lipidmodulierende Wirkung verstärken.
Interaktionen mit anderen Nährstoffen
Spurenelemente Nicotinsäure und Chrom zeigen synergistische Effekte auf die Blutzuckerspiegel.
Vitamine Niacin wirkt synergistisch mit allen B-Vitaminen, vor allem Vitamin B1 und B6.
Aminosäuren S-Adenosylmethionin hat protektive Effekte auf die Leber bei hohen Niacindosen.

Verbindungen

Beschreibung des Mikronährstoffes
Wasserlösliches Vitamin des B-Komplexes
Verbindungen

Nicotinsäure, Nicotinamid, Inositolhexanicotinat (Inositolniacinat)
Nicotinsäure: wird nicht eingesetzt- Flushproblematik

Referenzen

Referenzen

1) Hahn, A. et al. Ernährung. Physiologische Grundlagen, Prävention und Therapie. 2006.
2) Gröber, U. Orthomolekulare Medizin. Ein Leitfaden für Apotheker und Ärzte. 2008.
3) Steven, C. et al. 2008. A randomized, double-blind, placebo-controlled trial of niacinamide for reduction of phosphorus in hemodialysis patients. Clin J Am Soc Nephrol. 3:1131–1138.
4) Shahbazian, H. et al. 2011. Oral nicotinamide reduces serum phosphorus, increases HDL, and induces thrombocytopenia in hemodialysis patients: a double-blind randomized clinical trial. Nefrologia. 31(1):58-65.
5) Toth, P. P. 2005. High-density lipoprotein as a therapeutic target: clinical evidence and treatment strategies. Am J Cardiol. 96(9A):50-8.
6) Wieneke, H. et al. 2005. Niacin – an additive therapeutic approach for optimizing lipid profile. Med Klin (Munich). 100(4):186-92.
7) Shepherd, J. et al. 2005. European Consensus Panel: Nicotinic acid in the management of dyslipidaemia associated with diabetes and metabolic syndrome: a position paper developed by a European Consensus Panel. Curr Med Res Opin. 21(5):665-82.

Referenzen Interaktionen
Stargrove, M. B. et al. Herb, Nutrient and Drug Interactions: Clinical Implications and Therapeutic Strategies, 1. Auflage. St. Louis, Missouri: Elsevier Health Sciences, 2008. 
Gröber, U. Mikronährstoffe: Metabolic Tuning –Prävention –Therapie, 3. Auflage. Stuttgart: WVG Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2011.
Gröber, U. Arzneimittel und Mikronährstoffe: Medikationsorientierte Supplementierung, 3. aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: WVG Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2014.

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