Verzweigtkettige Aminosäuren

Synonym(e): Isoleucin, L-Isoleucin, L-Leucin, L-Valin, Leucin, Valin
Nährstoffgruppe: Aminosäuren

Vorkommen und physiologische Effekte

Vorkommen in der Nahrung

L-Leucin, L-Valin und L-Isoleucin sind verzweigtkettige Aminosäuren (BCAA) und für den Menschen essentiell. Demgemäß ist der Organismus auf eine exogene Zufuhr angewiesen.

  • - Gebundenes Leucin ist in der Ernährung Bestandteil von tierischen und pflanzlichen Proteinen: Molkenprotein, Thunfisch, Rind, Erdnüsse und Huhn.
  • - Gebundenes Valin: Molkenprotein, Erdnüsse, Fisch, Huhn und Rind.
  • - Gebundenes Isoleucin: Molkenprotein, Huhn, Lachs und Rind.
     
Physiologische Effekte
Kohlenhydratstoffwechsel
  • Stimulierung der Glukoneogenese
  • Anregung der Insulinsekretion
Ammoniakentgiftung
  • Neuroprotektion durch Inhibition der Aufnahme aromatischer Aminosäuren über die Blut-Hirn-Schranke
  • Förderung der Ammoniakentgiftung
Muskulatur
  • Proteinsynthese und Muskelaufbau
  • Energiegewinnung

Referenzwerte

Referenzwert laut Lebensmittelkennzeichnungsverordnung  
(=100 % TB-Kennzeichnung auf Etikett) k. A. 
Bedarf  
L-Isoleucin: Erwachsene: 10 mg/kg KG
Kinder: 111 mg/kg KG
L-Leucin: Erwachsene: 13 mg/kg KG
Kinder: 153 mg/kg KG
L-Valin: Erwachsene: 14 mg/kg KG
Kinder: 95 mg/kg KG
Erhöhter Bedarf Frühgeborene, Stress, Leistungssport, Leberfunktionsstörungen (Leberzirrhose, hepatische Enzephalopathie), Phenylketonurie, Reduktionsdiäten, Unterernährung
Sicherheit des Nährstoffes  
UL
 
Langfristige tägliche Aufnahmemenge, bei der keine negativen Einflüsse auf die Gesundheit zu erwarten sind

L-Leucin
<550 mg/kg/d
              


L-Valin/L-Isoleucin
k.A.  

NOAEL
 
Maximale Aufnahmedosis, die in Studien keine schädigenden Auswirkungen verursachte
 

Besondere Informationen

Verzweigtkettige Aminosäuren: Struktur und physiologische Aufgabe
Die verzweigtkettigen Aminosäuren (engl: Branched Chain Amino Acids = BCAA) gehören zu den essentiellen Aminosäuren und unterscheiden sich durch eine unpolare Kohlenwasserstoffseitenkette in der Primärstruktur von den anderen Aminosäuren. Es handelt sich dabei um die Aminosäuren L-Leucin, L-Valin und L-Isoleucin. Der Proteinmetabolismus basiert in erster Linie auf einem ständigen Auf-, Ab- und Umbau des im Körper vorhandenen Aminosäurepools. So werden beispielsweise täglich ca. 75 g Skelettmuskelprotein auf- und abgebaut, wovon 10 % in Form von freien Aminosäuren zwischen dem Skelettmuskel und dem Aminosäurepool im Plasma ausgetauscht werden.1 Während die Enzymsysteme zum Abbau der essentiellen Aminosäuren überwiegend in den Leberzellen lokalisiert sind, werden die BCAAs vorwiegend von Muskulatur und Gehirn verwertet.2 Deshalb sind verzweigtkettige Aminosäuren unentbehrlich für den Aufbau und den Erhalt der Muskelmasse und stellen eine zusätzliche Energiequelle unter Belastungen dar. Da die BCAAs überwiegend nicht im Lebergewebe verstoffwechselt werden, sind sie zudem eine wichtige diätetische Maßnahme zur Erhaltung der Proteinbalance bei Lebererkrankungen, insbesondere bei Leberzirrhose.
 
BCAA-Stoffwechsel bei starker Belastung
Bei lang andauernden Belastungen werden bevorzugt die verzweigtkettigen Aminosäuren zur Energiegewinnung in der Muskulatur herangezogen und stabilisieren auf diesem Wege die Leistungsfähigkeit. In katabolen Situationen werden in den Mitochondrien der Skelettmuskulatur verstärkt BCAAs im Rahmen der Glukoneogenese zu Glukose oxidiert und in den Citratzyklus zur Energiegewinnung eingespeist oder zur Sicherung eines ausreichenden Blutzuckerspiegels verwendet.Bei intensiver körperlicher Belastung nimmt die Konzentration von Leucin, Isoleucin und Valin durch den gesteigerten Abbau sowohl im Plasma als auch in der Muskulatur deutlich ab, wobei dies bei untrainierten Personen stärker nachzuweisen ist als bei trainierten Sportlern.4 Dabei scheint die abnehmende Konzentration der BCAAs in direktem Zusammenhang mit belastungsinduzierten Muskelschäden zu stehen.5 Studien belegen, dass eine BCAA-Supplementierung die Schädigung der Muskulatur abschwächen6 und dadurch die Regenerationszeit und die Erholungsphase verkürzen kann. Zudem wird das durch die Belastung geschwächte Immunsystem unterstützt, da die BCAAs das Zytokinmuster während Belastungen modifizieren und die TH1-Lymphozytenantwort positiv beeinflussen können.7
 
Förderung anaboler Vorgänge in der Regenerationsphase und bei Sarkopenie
Unabhängig von ihrer Aufgabe als Proteinbaustein und bei der Glukoneogenese haben die BCAAs zusätzliche anabole Einflüsse auf den Proteinstoffwechsel im Muskelgewebe. Nach langen Belastungen können sie die Proteinsynthese im Muskel beschleunigen und die Abbauraten verlangsamen, indem sie die Schlüsselenzyme für den Proteinaufbau (mTOR- und p70-S6-Kinase) aktivieren.8 Auch dies steht im Zusammenhang mit der beobachteten Regenerationsbeschleunigung durch BCAA-Supplemente. Bei älteren Personen können BCAAs eine anabole Stimulation bewirken und dem altersbedingten Muskelabbau unterstützend entgegenwirken.9 In der Rekonvaleszenz scheint eine erhöhte Zufuhr an BCAAs auch die kognitive Rehabilitation positiv zu beeinflussen.10 Darüber hinaus konnte auch ein positiver Einfluss durch eine Supplementierung mit BCAA auf depressive Symptome bei Patienten mit Typ-2-Diabetes festgestellt werden.11
 
Diätetische Unterstützung bei Leberschäden und Leberzirrhose
Da BCAAs überwiegend in der Skelettmuskulatur und nur zu einem geringen Maße in der Leber verstoffwechselt werden, stellen sie bei einem geschädigten Leberparenchym eine weniger belastende Proteinquelle dar als andere Aminosäuren. Tatsächlich sinkt bei einer Langzeitsupplementierung mit BCAA bei Leberzirrhosepatienten das Risiko von Morbidität und Mortalität.12 In einer weiteren Studie konnte dokumentiert werden, dass eine zusätzliche Zufuhr von BCAA sowohl die Stickstoffbilanz als auch den Energiestoffwechsel positiv beeinflussen kann.13 Bei Lebererkrankungen ist die Konzentration der verzweigtkettigen Aminosäuren im Plasma reduziert und deshalb der prozentuale Anteil an aromatischen Aminosäuren erhöht. Da beide Aminosäuregruppen um dasselbe Transportsystem bei der Aufnahme in das ZNS konkurrieren, führt dies zu einer erhöhten Aufnahme der aromatischen Aminosäuren und einer insgesamt ungünstigen Beeinflussung des Neurotransmittergeschehens. Die hepatische Enzephalopathie äußert sich in Konzentrationsschwäche, Gedächtnis- und Schlafstörungen sowie in zerebralen Funktionsstörungen. Eine Substitution mit BCAA kann die hepatische und extrahepatische Ammoniakentgiftung steigern und die Aminosäureinbalancen normalisieren, wodurch eine Verbesserung der psychomotorischen Funktionen bei Lebererkrankungen erreicht werden kann.14
 
Förderung anaboler und immunologischer Vorgänge durch einzelne Aminosäuren
Während körperlicher Belastung, sei es durch Sport oder durch eine Infektion, werden vermehrt Aminosäuren aus dem Muskelgewebe ausgelagert, um die Proteinbiosynthese des Immunsystems zu gewährleisten.15 Arginin, Glutamin und Cystein scheinen eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung der Immunkompetenz zu spielen.16 Eine gezielte Supplementierung unterernährter Personen und während Infektionserkrankungen verbessert den immunologischen Status durch verschiedene Mechanismen wie die Aktivierung von T- und B-Lymphozyten und Makrophagen sowie die Verbesserung der Antikörper- und Zytokinproduktion.17

Mögliche Mangelsymptome

Auswirkung auf Symptomatik
Allgemeinbefinden Muskelschwäche 
Proteinsynthese Muskelabbau, schlechte Regeneration nach Belastung
Stoffwechsel Negative Stickstoffbilanz (Proteinabbau), mangelhafte Ammoniakentgiftung
 Nervensystem Zerebrale Funktionsstörungen

Indikation

Effekt Indikation Dosierung
Physiologische Effekte
mit niedrigen
Nährstoffdosierungen
Leistungssport 4 – 10 g/d vor und nach dem Training 
Zur Verbesserung der Energiebereitstellung in der quergestreiften Muskulatur 2 - 5 g/d 
Zur Erhaltung des Muskelproteinstatus bei intensiver Belastung 4 - 10 g/d 
Als diätetische Begleitmaßnahme bei Lebererkrankungen 15 - 20 g/d (0,3 g BCAA/kg KG) 

Einnahme

Allgemeiner Einnahmemodus
 
Wann
 
Verzweigtkettige Aminosäuren sollten zu den Mahlzeiten eingenommen werden.
  Hinweis:
  • Zur Erhaltung und Förderung von Muskelprotein zu einer Mahlzeit verzehren.
  • Zur Reduzierung von Muskelschäden durch Muskelbelastung eine Stunde vor der Belastung einnehmen.
  • Zur Förderung der Muskelregeneration nach Belastungen sollten BCAAs nach der Belastung eingenommen werden.
Nebenwirkungen
Nach aktuellem Kenntnisstand sind keine Nebenwirkungen bekannt.
Kontraindikationen
Niereninsuffizienz, Ahornsirupkrankheit (gestörter Abbau verzweigtkettiger AS)

Interaktionen

Interaktionen mit Arzneimitteln
Keine Nach aktuellem Kenntnisstand sind keine relevanten Wechselwirkungen bekannt.
Interaktionen mit anderen Nährstoffen
Aminosäuren L-Tryptophan, Tyrosin, Phenylalanin, Valin, Leucin und Isoleucin behindern sich beim Transport durch die Blut-Hirn-Schranke

Verbindungen

Beschreibung des Mikronährstoffes
Verzweigtkettige proteinogene Aminosäuren
Verbindungen
  • L-Isoleucin ist die natürliche Form. Die D- und DL-Formen sind unbedeutende Isomere.
  • L-Valin ist die natürliche Form. DL-Valin wird industriell als Ausgangsstoff zur Produktion von bestimmten Arzneimitteln verwendet.
  • L-Leucin ist die natürliche Form.

Referenzen

Referenzen

1 Biesalski, H. K., Grimm, P. Taschenatlas Ernährung, 3. Auflage. Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG, 2004.
2 Hahn, A. et al. Ernährung: Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie, 3. neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2016.
3 Gröber, U. Metabolic Tuning statt Doping: Mikronährstoffe im Sport, 1. Auflage. Stuttgart: S. Hirzel Verlag GmbH & Co., 2008.
4 Henriksson, J. 1991. Effect of exercise on amino acid concentrations in skeletal muscle and plasma. J Exp Biol. 160:149-65.
5 Coombes, J. S., McNaughton, L. R. 2000. Effects of branched-chain amino acid supplementation on serum creatine kinase and lactate dehydrogenase after prolonged exercise. J Sports Med Phys Fitness. 40(3):240-6.
6 Greer, B. K., Woodard, J. L. 2007. Branched-chain amino acid supplementation and indicators of muscle damage after endurance exercise. Int J Sport Nutr Exerc Metab. 17(6):595-607.
7 Negro, M. et al. 2008. Branched-chain amino acid supplementation does not enhance athletic performance but affects muscle recovery and the immune system. J Sports Med Phys Fitness. 48(3):347-51.
8 Blomstrand, E. et al. 2006. Branched-chain amino acids activate key enzymes in protein synthesis after physical exercise. J Nutr. 136(1 Suppl):269S-73S.  
9 Fujita, S., Volpi, E. 2006. Amino acids and muscle loss with aging. J Nutr. 136(1 Suppl):277S-80S.
10 Aquilani, R. et al. 2005. Branched-chain amino acids enhance the cognitive recovery of patients with severe traumatic brain injury. Arch Phys Med Rehabil. 86(9):1729-35.
11 Matsuda, T. et al. 2022. Effects of Branched-Chained Amino Acids on Skeletal Muscle, Glycemic Control, and Neuropsychological Performance in Elderly Persons with Type 2 Diabetes Mellitus: An Exploratory Randomized Controlled Trial. Nutrients. 14(19): 3917.
12 Charlton, M. 2006. Branched-chain amino acid enriched supplements as therapy for liver disease. J Nutr. 136(1 Suppl):295S-8S.  
13 Nakaya, Y. et al. 2007. BCAA-enriched snack improves nutritional state of cirrhosis. Nutrition. 23(2):113-20. doi: 10.1016/j.nut.2006.10.008.
14 Gröber, U. Orthomolekulare Medizin: Ein Leitfaden für Apotheker und Ärzte, 3. unveränderte Auflage. Stuttgart: WVG Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2008.
15 Breuille, D. et al. 2005. Beneficial effect of amino acid supplementation, especially cysteine, on body nitrogen economy in septic rats. Clin Nutr. 25(4):634-642. doi: 10.1016/j.clnu.2005.11.009.
16 Shimomura, Y. et al. 2006. Nutraceutical effects of branched-chain amino acids on skeletal muscle. J Nutr. 136(2):529S-32S.
17 Li, P. et al. 2007. Amino acids and immune function. Br J Nutr. 98(2):237-52. doi: 10.1017/S000711450769936X.

Referenzen Interaktionen
Stargrove, M. B. et al. Herb, Nutrient and Drug Interactions: Clinical Implications and Therapeutic Strategies, 1. Auflage. St. Louis, Missouri: Elsevier Health Sciences, 2008.
Gröber, U. Mikronährstoffe: Metabolic Tuning –Prävention–Therapie, 3. Auflage. Stuttgart: WVG Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2011.
Gröber, U. Arzneimittel und Mikronährstoffe: Medikationsorientierte Supplementierung, 3. aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: WVG Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2014.

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